Debatte über Nachtrennungssorge in Deutschland

Wissenschaft 

Wissenschaftler beschäftigen sich vor allem mit der Frage, ob die gemeinsame Elternschaft und die Doppelresidenz im Interesse der Kinder liegen. 

Internationale Fachwissenschaftler und Praktiker sind sich weitgehend einig, dass die gemeinsame Elternschaft für den Großteil der betroffenen Kinder sehr förderlich ist. Bei großen empirischen Studien schneiden die Kinder und Jugendliche, die auch nach Trennung in Arrangements gemeinsamer Elternschaft aufwachsen, bei Indikatoren von Wohlergehen und Leistungsfähigkeit bis Stessresistenz regelmäßig signifikant besser ab, als diejenigen in einer Einzelresidenz klassischer Prägung. 

Wissenschaftler können mittlerweile auch schlüssig belegen, dass für die guten Ergebnisse eine sogenannte Selbst-Selektion von liebevollen und fähigen (getrennten) Eltern nicht ursächlich ist. Eine solche läge vor, wenn vor allem die geeigneteren Eltern nach einer Trennung ein Arrangement gemeinsamer Elternschaft wählten und daher das höhere Wohlergehen der Kinder nicht auf das Betreuungsarrangement, sondern auf die positiven Elterneigenschaften zurückzuführen wäre. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass für die Kinder dieser "guten" Eltern das Betreuungsarrangement zweitrangig wäre, solange sie zum Mindesten ein "guter" Vater oder eine "gute" Mutter betreute. Dem ist aber nicht so.

Davon unbenommen ist die vollkommen banale Feststellung, dass es Eltern gibt, die nicht gut für ihre Kinder sind. Diese Eltern werden auch in einer Doppelresidenz nicht zu liebevollen verantwortungsvollen Personen, sondern müssen wie in jeglicher Sorgekonstellation von ihren Kindern ferngehalten werden bzw. erst unter Beweis stellen, dass sie die Notwendigen Voraussetzungen für Kindsorge mitbringen. 

Wissenschaftler beschäftigen sich darüber hinaus mit der Frage, ob dies auch unter Stressbedingen (niedriges Einkommen, Elternkonflikte) der Fall ist. Es gibt tatsächlich keine Anzeichen dafür, dass widrige äußere Umstände die Vorteile der gemeinsamen Elternschaft annullieren oder ins Gegenteil verkehren. Dies lässt sich sehr leicht nachvollziehen. Ist eine gemeinsame Elternschaft grundsätzlich besser für das Kind (als eine Einzelresidenz) gilt das prima facie auch unter widrigen Bedingungen. 

Weniger Elternkonflikte sind immer besser, in jedem Betreuungsarrangement. Eine enge Bindung zu beiden Eltern ist immer besser als eine weniger enge Bindung oder eine fehlende Bindung unabhängig von den äußeren Umständen. Dies lässt sich auch empirisch belegen. Dabei gilt: das Betreuungsmodell bzw. das Co-Parenting bietet einen Rahmen für kind-zentrierte Elternschaft. Lediglich bei einen substantiellem Betreuungsanteil entwickeln sich enge Bindungen und kommen die guten Elterneigenschaften von allen Eltern zum Tragen. Inwieweit das Betreuungsarrangement selbst gute Elterneigenschaften fördert bzw. ermöglicht, z. B. durch mehr Zeit zur Selbstsorge und der beruflichen Verwirklichung, ist schwer messbar, ein Zusammenhang wäre aber plausibel. 

Innerhalb des Themas Co-Parenting kommt dem Konfliktmanagement ein hoher Stellenwert zu. Wissenschaftler haben erste Modelle entwickelt, um schwerwiegendere Konflikte, wie z. B. Wohnortwechsel über größere Distanzen angehen zu können. Im Kern geht es um die Bewertung der Offenheit beider Eltern gegenüber gemeinsamer Elternschaft. 

Beide Eltern sind sogenannte „gatekeeper“ also Wächter ihrer Kinder. Wenn Konflikte beurteilt werden, spielt eine entscheidende Rolle, ob sie dieses Wächteramt in einer Weise, die den Zugang zum anderen Elternteil erleichtert (facilitative gatekeeping, FG) oder in einer Weise, die den Zugang zum anderen Elternteil erschwert (restrictive gatekeeping, RG) wahrnehmen. Diese Analysemethode erlaubt, kindeswohldienliches integratives Verhalten zu fördern und kindeswohlgefährdendes antagonistisches Verhalten zu sanktionieren.

Wissenschaftler gehen auch der Frage nach, warum sich die eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht in entsprechenden politischen Entscheidungen niederschlagen. Tatsächlich müssen Wissenschaftler feststellen, dass es für Entscheidungsträger gar nicht so einfach ist, auszumachen, was tatsächlich Wissenschaft und was lediglich Einflussnahme in wissenschaftlichem Gewand ist. 

Den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu gemeinsamer Elternschaft und Politikempfehlungen hat Prof. William Fabricius von der Arizona State University in einer hervorragenden Präsentation (auf englisch, auf deutsch), die er am 24. März 2020 vor dem dänischen Parlament gehalten hat, zusammengefasst. Der Vortrag ist als Videostream (auf Englisch) auf der Webseite von worldparents.org abrufbar. Eine Zusammenfassung (auf deutsch) der wesentlichen Untersuchungsstrategien (research and test design) zur Etablierung einer Kausalität zwischen Kindeswohl und gemeinsamer Elternschaft nach Trennung sind auf dieser Webseite im Abschnitt Debatte - Politik verfügbar.

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