zu der Debatte um Nachtrennungssorge in Deutschland ein Gastbeitrag der Psychologin und systemischen Familientherapeutin Ursula Kodjoe:

Sanft erscheinende "passive Gewalt" erkennen und benennen

Sollte Loriot Recht haben, sollten Männer und Frauen tatsächlich "einfach nicht zusammen passen"? Dann sollten sie besser keine gemeinsamen Kinder kriegen... Denn denen schulden sie dann die Elternschaft, mit der Großelternschaft im Gefolge.

Kinder lieben ihre Eltern, so wie sie sind. Kinder machen keine Charakteranalyse ihrer Eltern. Sie sind stolz  auf ihre Eltern, die sie lieben, versorgen und beschützen. Sie wollen keinen von ihnen verlieren. Sie wollen es Beiden Recht machen, sie wollen keine Trennung, sie wollen streitende Eltern versöhnen.

Irgendwann müssen sie feststellen, dass sie das nicht schaffen - damit ist häufig die unbelastete Kindheit vorbei. Aus Hilflosigkeit schlagen sie sich auf die Seite des Elternteils, der sie von ihrer Kinderebene zu sich auf die Elternebene "erhebt" und sie im Kampf gegen den anderen Elternteil einsetzt. Das kann ein schleichender oder ein kurzer Prozess sein. Er ist nahezu immer mit Schuldgefühlen des Kindes verbunden, das jetzt tatsächlich Angst davor hat, dem anderen in dessen Enttäuschung zu begegnen. Diese Angst wird selten erkannt und noch seltener beruhigt.

Die „Einladung" des Residenzmodells zum Machtmissbrauch durch einen betreuenden Elternteil, der die alleinige Verfügungsgewalt über das Kind anstrebt, wird seit Jahren eindrücklich unter Beweis gestellt. Ohnmacht und das Gefühl des anderen Elternteils, von Gnade und Barmherzigkeit abhängig zu sein, wird je nach Persönlichkeit ausagiert in Depression und Resignation, die zum Kontaktabbruch zwischen Eltern und Kind führt oder in Aggression bis zu Tötungen. Dazu kommt die Willkür institutioneller und gerichtlicher Entscheidungen, die jede Rechtssicherheit vermissen lässt. 

Die Verstrickung in ein gegnerschaftlich erbittert geführtes familiengerichtliches Verfahren produziert Eltern, die psychisch und physisch erkranken und sich finanziell ruinieren. Sie produziert Bürger, die jeden Glauben an den Rechtsstaat, an Recht und Gerechtigkeit verloren haben und diese Grundhaltung auch den Kindern und Jugendlichen vermitteln. Sie produziert junge Männer und auch Frauen, die selbst keine Kinder wollen, um das erlittene Leid nicht mit eigenen Kindern noch einmal zu erleben. 

Die generationsübergreifende Weitergabe destruktiver Verhaltens- und Beziehungsmuster, mit der erlebten „Konfliktlösung durch Kontaktabbruch“, mit dem Erleben elterlicher Machtausübung wird dramatisch unterschätzt. 

Unterschiedliche Formen von Gewalt, wie Kommunikationsverweigerung, Totstellreflex, passives Aussitzen, existenzbedrohende Falschbeschuldigungen. krasse Lügen etc. werden "normalisiert", banalisiert oder ignoriert. Auch aus Ratlosigkeit, wenn nach verbaler Zustimmung zu allen Empfehlungen über Monate und Jahre keinerlei Umsetzung erfolgt. Der Graben zwischen verbaler Ebene und Handlungsebene könnte in vielen Fällen tiefer nicht sein.

Eine Überprüfung der Umsetzung, ggf. Anpassung und Neubewertung könnte nach drei Monaten in einer Folgeanhörung stattfinden, wie im Konsensmodell vorgesehen. Richter erhalten in der Regel keine Rückmeldung über die Wirksamkeit ihrer Beschlüsse. Ein respektvolles feedback mit der gebührenden Anerkennung ihrer Arbeit wäre angebracht, ein ebenso respektvoller Hinweis auf eine Nicht-Umsetzung entgegen ihrer Entscheidungen könnte hilfreich sein.

  • Unsere Gesellschaft braucht ein klares Selbstverständnis von Eltern:
  • Elternschaft ist unauflöslich
  • Eltern sind gleichwertig, gleichberechtigt und gleichermaßen verantwortlich für die Entwicklung und das Leben ihrer Kinder.
  • Elternschaft kann nicht aufgekündigt, aufgegeben und einem alleine aufgebürdet werden.
  • Ein Elternteil kann dem anderen seine Elternschaft nicht aufkündigen, ihn nicht ausgrenzen und eliminieren.

Wenn die professionellen Mitwirkenden diese Grundhaltung verinnerlicht haben, kann nicht willkürlich, konfliktfördernd und durch Hinnahme von Entfremdungsstrategien kindeswohlschädigend verfahren werden. Ganz gleich, welches Umgangsmodell dem einen oder anderen "gefühlsmäßig", "aus eigener Erfahrung", aus herkömmlicher Praxis oder woher auch immer eher zusagt - hier ist Wissen gefragt.

Entgegen individueller Vorurteile und "Meinungen" ist das durch Forschung belegte Wissen verfügbar und es ist recht einfach: Gleichberechtigte Betreuung der Kinder führt zu abnehmendem Konfliktniveau und langfristig zur Zufriedenheit der Beteiligten, auch nach anfänglicher Ablehnung.

Faire Anpassungen an die individuellen Lebensverhältnisse, immer mit dem Ziel größtmöglicher Gleichbeteiligung, können Eltern selbstbestimmt, autonom vornehmen.

Für die Kinder ist sichergestellt, dass sie keinen Elternteil verlieren, dass sie sowohl die männliche als auch die weibliche Lebenswelt erfahren und mit jedem Elternteil Alltag erleben. Ihnen bleiben unterstützende soziale Netze beider erweiterter Familien erhalten.

Die Risiken von Armut, Altersarmut und chronischer Überforderung von Alleinerziehenden könnten rückläufig werden, die Ideologisierung und Verbrämung dieses Familienstands dann allerdings auch. Gleichberechtigung bedeutet Gleichverpflichtung und dient nicht zuletzt der Entlastung der Mütter. Sie mögen es zulassen, die kinderfreie Zeit genießen und für sich nutzen.

Sind die Deutschen (Österreicher, Schweizer) so viel klüger als alle Anderen, die dieses Modell in ihren Ländern seit Jahren als Regelfall in ihren Gesetzen verankert haben und erfolgreich praktizieren? Dort wissen Eltern, dass sie einen fairen, passablen, an den Bedürfnissen des Kindes orientierten, einvernehmlichen Elternplan vorlegen müssen, wenn sie nicht vom Richter das Wechselmodell verordnet kriegen wollen.

Zur Lösung der erbittert umstrittenen, bis zur Unlösbarkeit erklärten Unterhaltsfrage beim Wechselmodell empfiehlt sich ein Blick nach Belgien. Dort kriegen sie es seit 2006 hin. Auch hierzulande geraten die Dinge in Bewegung.

Der unsägliche Anachronismus, dass der zum "Umgangsberechtigten" herabgestufte Elternteil auch dann alleine die Kosten für Fahrten, Übernachtungen etc. zu tragen hat, wenn der Andere ohne Not (ans Ende der Republik) umzieht, muss geändert werden, z.B. nach dem Verursacherprinzip. Nicht selten endet mit derlei Umzügen die Eltern-Kind-Beziehung not-gedrungen und ist ebenfalls als gewalttätiger Akt des "Fakten Schaffens" einzustufen. 

Die 50-Meilen-Regel (...und nicht weiter) verhindert das in USA und Canada.

Zu allem Übel trägt nun noch die postmoderne Genderdiskussion das Ihre zur Spaltung und zum Geschlechterkampf bei.

Forderungen von PolitikerInnen nach prä- oder postnatal zu erbringenden "Beweisen" väterlicher Bindungs-, Beziehungs- oder Erziehungsfähigkeit aus derzeitigen und früheren Parteiprogrammen erfreuen allenfalls Anhänger des politischen Cabarets.

Diese Fähigkeiten bringt jeder generationsübergreifend mit aus der eigenen Sozialisation. Mütter wie Väter erlernen sie dann ab dem Tag der Geburt in der täglichen Betreuung, in der Interaktion mit diesem ganz besonderen, diesem einzigartigen, diesem ihrem Kind ganz "neu".

Wir Bürger sind hier gefragt, wir können die Politik, zumal die Familienpolitik keinesfalls fanatisierten Geschlechterkämpfern und -kämpferinnen überlassen.

Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bestimmt unsere Grundhaltung: diese erfordert die Geschlechterdemokratie, die Achtung der Würde des Menschen, der Würde von Kindern, der Würde von Müttern und der Würde von Vätern gleichermaßen.

Der Respekt vor der Elternwürde öffnet den Blick wieder für die tiefe Freude und Dankbarkeit über jedes Kind, das unsere oft festgefahrene Erwachsenenwelt mit seiner unbändigen Lebensfreude so unendlich bereichern kann - zerstören wir diesen Schatz nicht durch Trennungskriege!

Ursula Kodjoe
Diplompsychologin
systemische Familientherapeutin
Mediatorin
www.ursula-kodjoe.de

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